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Montag | 20.05.19 | 19:00 h
Klassiker reloaded: Wiener Underground der 1960er-Jahre
(Kurzfilmprogramm kuratiert und präsentiert von Peter Hoffmann)
1968 gründeten Ernst Schmidt jr., Hans Scheugl, Valie Export, Peter Weibel, Kurt Kren und Gottfried Schlemmer die Austria Filmmaker Cooperative. Sie stand in enger Verbindung mit den Wiener Aktionisten, deren Aktionen sie filmisch begleitete. Vor allem die Arbeiten von Ernst Schmidt und Hans Scheugl sind Klassiker eines Kinos der Dekonstruktion. Mit ihrer „Subgeschichte des Films“ (1974), dem umfangreichsten Lexikon des Avantgardefilms, leisteten sie darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur kunstgeschichtlichen Etablierung des internationalen unabhängigen Films. Das Programm verknüpft ihre Arbeiten mit den Materialaktionen von Otto Muehl, der u.a. Ende 1969 die HBK, damals noch SHFBK Braunschweig ins Rampenlicht der Öffentlichkeit brachte. (PH)
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Filmprogramm (70 min):
Kurt Kren – 9/64 O Tannenbaum
3 min | 1964 | 16mm | bw | silent (nodialog) | AT
Ernst Schmidt jr. – Bodybuilding
9 min | 1965 | 16mm | col | sound | OVdt | AT
Hans Scheugl – Safety Film
4 min | 1968 | 16mm | col+bw | silent (nodialog) | AT
Hans Scheugl – Hernals
11 min | 1967 | 16mm | col | sound | OVdt | AT
Ernst Schmidt jr. – Kunst & Revolution
2 min | 1968 | 16mm | bw | sound | OVdt | AT
Ernst Schmidt jr. – David und Zorro
29 min | 1968 | 16mm | bw | sound | OVdt | AT
Jan Brinkmann – [O Tannebaum]
10 min | 1969 | digifile (16mm) | bw | sound | OVdt | DE (BRD)
Ernst Schmidt jr. – Eine Subgeschichte des Films
2 min | 1974 | 16mm | bw | silent (nodialog) | AT
Peter Hoffmann (*1957) drehte ab Ende der 1980er-Jahre Kurzfilme auf Super8, später auch zwei persönlich-dokumentarische Langfilme. Seit Anfang der 1990er-Jahre gehört er zum Kollektiv des Kino im Sprengel in Hannover, und organisiert dort Veranstaltungen und Filmreihen, seit 2015 schwerpunktmäßig mit dem sog. "anderen Kino" der Endsechziger.
Ernst Schmidt jr. – Bodybuilding
9 min | 1965 | 16mm | col | sound | OVdt | AT
Aufnahmen von zwei Materialaktionen von Otto Muehl (Aktion 18 Rumpsti-Pumpsti/Schießscheibe, Aktion 19 Bodybuilding). Es wurde mit Negativmaterial aufgenommen, von diesem dann ein Positiv gezogen und beides zusammen im Umkehrverfahren verwendet, sodass die selben Bilder in gewissem Rhythmus farbmäßig verschieden wiederkehren. Dazwischen montierte Weißkader sowie die Verwendung durch Lichteinfall verfälschten Materials vermitteln eine weitere Verfremdung. Im Ton: Geräusch-, Musik- und sprachliche Fragmente (ein Dialektgedicht, Teile einer Diskussion über den Kristl-Film "Der Damm"). (E. S. jr.)
Hans Scheugl – Safety Film
4 min | 1968 | 16mm | col+bw | silent (nodialog) | AT
In diesem frühen Found-Footage-Film (entstanden lange bevor diese Form auch in Österreich zu einer Mode wurde) beweist Scheugl erfolgreich die Abenteuerlichkeit eines Kinos, das sich selbst ernst zu nehmen weiß. Wieder einmal gelingt es Scheugl, zwei Wirklichkeiten in Balance zu halten; die "primäre Wirklichkeit" ist in diesem Fall Material eines Hollywood Westerns, das sich Scheugl auf verschiedene Art aneignet ohne es aber einfach zu "abstrahieren", zerstören, negieren oder dgl. D.h., die Handlungsspannung einzelner Aktionen des Ausgangsmaterials bleibt durchaus wirksam; zu ihr gesellt sich die von Scheugl herausgearbeitete "Filmspannung", d.i. die Spannung, die dem gesamten Film/Kino-Apparat und seinen spezifischen Möglichkeiten innewohnt. Durch subtile rhythmische Arbeit (z. B. Einfügen von Schwarzkadern), dem Spiel mit Positiv- und Negativmaterial etc., erhält der wilde Western möglicherweise erst sein Leben, sodass wir uns mit Scheugl, der zwischen Großaufnahmen der Leinwandstars eigene Außenaufnahmen eines Kinos schneidet, fragen müssen, wo (beim Film) die wirklichen Gefahren (und Katastrophen) liegen, und wer letztendlich die wahren Helden des Kinos (gewesen) sein werden: Kirk Douglas, John Wayne (und ihre Drahtzieher) oder ...? (Thomas Korschil)
Hans Scheugl – Hernals
11 min | 1967 | 16mm | col | sound | OVdt | AT
In Hernals wurden dokumentarische und pseudodokumentarische Vorgänge jeweils von zwei Kameras gleichzeitig von verschiedenen Blickpunkten aus aufgenommen. dieses material wurde in seine einzelnen Bewegungsphasen zerlegt. In der Montage wurde jede Phase verdoppelt. die dabei verwendeten Techniken variieren. Der Ton wurde ebenfalls verdoppelt, auch hier mit verschiedenen Techniken. Zwei verschieden wahrgenommene Wirklichkeiten, eben aus den Bedingungen des Films, werden zu einer synthetischen Wirklichkeit montiert, wo alles wiederholt wird. Diese Verdoppelung zerstört das Postulat: Identität von Abbild und Bild. Verlust der Identität, Verlust der Wirklichkeit (cf. Schizophrenie). Man stelle sich ein Theaterstück vor, wo die Akteure jeden Satz zweimal sagen, jede Geste zweimal machen, jede Szene zweimal spielen und man begreift vielleicht die Ungeheuerlichkeit unserer Wirklichkeit, in der nichts wiederholbar ist. Zeit wird nicht angehalten, doch verlängert, Reit als Riss zwischen Abbild und Bild, Zeit die Raum schafft. (Peter Weibel)
Ernst Schmidt jr. – Kunst & Revolution
2 min | 1968 | 16mm | bw | sound | OVdt | AT
Aktionen von Günter Brus, Peter Weibel, Otto Muehl, Oswald Wiener, Franz Kaltenbäck, Otmar Bauer, Herbert Stumpfl, Anastas, Dieter Haupt.
Dokumentation über die berühmte Aktion ("Uni-Ferkelei"), die zu einem Schwurgerichtsprozess (6 Monate für Brus, 1 Monat für Muehl; 2 Monate Untersuchungshaft für Brus, Muehl, Wiener, der freigesprochen wurde) und einer monatelangen Hetzkampagne in den österreichischen Massenmedien gegen den Wiener Aktionismus führte.
Ich hatte nur wenige Meter Film mit und diese bald verfilmt, dennoch gibt der Film einen ungefähren Eindruck der Ereignisse. Da sich um diese Veranstaltung bald ein Mythos bildete, habe ich, um diesem entgegenzuwirken, den Film verfremdet (Wiederholungen, Hinzufügung fremden Materials, beispielsweise. aus einem Film über Hundehaltung, und Reste der von mir gefilmten Muehl-Aktion Nr. 54 "Im Freudenauer Wasser"). (E. S. jr.)
Ernst Schmidt jr. – David und Zorro
29 min | 1968 | 16mm | bw | sound | OVdt | AT
Dokumentarfilm über die Musiker Paul und Limpe Fuchs, die später durch ihre Zusammenarbeit mit Friedrich Gulda bekanntgeworden sind. Aufgenommen auf ihrem Wohnsitz in Bayern, einem ehemaligen Pfarrhof, an zwei Nachmittagen. Weitgehende Improvisation bei der Aufnahme, Schnitt meist sofort "in der Kamera". Durch Wechsel der Methoden des Schnitts, der Kameraführung usw. formal verschiedenartige Abschnitte, die zusammen ein mosaikartiges Porträt der Musiker und ihrer Wohnumgebung bilden. (E. S. jr.)
Jan Brinkmann – [O Tannebaum]
10 min | 1969 | digifile (16mm) | bw | sound | OVdt | DE (BRD)
Der Film dokumentierte die Materialaktion „O Tannebaum“, die Otto Muehl auf Einladung des AStA der SHFBK Braunschweig am 16.12.1969 in der Aula der Hochschule durchgeführt hat. Das „blutige Happening“, das auch als „Schweine-Happening“ durch die Presse geisterte, führte zur zeitweisen Beurlaubung des Hochschul-Rektors Peter Voigt und wurde in einer Fragestunde des Bundestages behandelt. Braunschweiger Bürger forderten in einer Unterschriftenaktion „Nie wieder Verletzung der menschlichen Würde!“ mit über 20.000 Unterschriften „Härteste Bestrafung der Veranstalter und Verantwortlichen“.
Jan Brinkmanns Film blieb im Gegensatz zu der 7-minütigen Dokumentation „Stille Nacht“ von Hans-Peter Kochenrath, während derselben Aktion in Braunschweig gefilmt, unbekannt. Der Film ist erst kürzlich wiederaufgetaucht.
Ernst Schmidt jr. – Eine Subgeschichte des Films
2 min | 1974 | 16mm | bw | silent (nodialog) | AT
Alle Fotos der Subgeschichte des Films von Scheugl/Schmidt (edition suhrkamp 471) der Reihe nach "in der Kamera" nach demselben Schema wie Gesammelt von Wendy montiert: jeweils 7, 5, 3, 1 Kader lang. Der Film der Filme. (E. S. jr.)
[ Abbildung oben: Otto Muehl Aktion 'O Tannebaum' (SHFBK Braunschweig 1969), courtesy Archiv Neuenhausen ]
Übersicht Sommersemester 2019
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