Conrad Veit – Blastogenese X
26:01 min | 2020 | 16mm (4:3) | bw | sound | nodialog
in Zusammenarbeit mit Charlotte Maria Kätzl
Diplomstipendium 2020 der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK)
Detailansicht: www.hbkbsdiplom2020.de
« Blastogenese X » bewegt sich in seiner offenen Form auf der Grenze zwischen Tierdokumentation und phantastischem Science Fiction. In einer fremdartigen, planetaren und posthuman wirkenden Landschaft werden Lebensformen gezeigt, die der Film, ähnlich wie bei einer Tierdokumentation, in einem in Episoden erzähltem Lebenszyklus aus Geburt, Balzverhalten, Fortpflanzung/Paarung, Brutpflege und Raubverhalten vorstellt. Bei den Figuren handelt es sich um Hybride zwischen Tierischem und Menschlichem, die genderfluid angelegt, sich zwischen den biologischen Geschlechtern bewegen. Dabei entstehen die Figuren durch Kostüme und Attribute, die dem menschlichen Körper hinzugefügt werden. So verbindet sich der nackte menschliche Körper mit künstlich erschaffenen, animalisch anmutenden Kostümen. Die Zitzen eines Schweins überdecken beispielsweise die menschliche Brust und vervielfältigen ihre Funktion. Der Schnabel eines Vogels ersetzt das Gesicht und fungiert als Tastorgan und Phallus. Dabei wird das Kostüm thematisiert und versteht sich als Attribut zum nackten Körper. Daraus entsteht eine neu geschaffene Drag-Form als « Animal Drag », die sich nicht mehr nur an Geschlechterstereotypen bedient, sondern alle Lebewesen mit einbezieht und dadurch den Begriff „queer“ erweitert. Denn so scheinen die Grenzziehungen zwischen Mensch und Tier in mancher Hinsicht ähnlich kulturell und sozial konstruiert, wie es Geschlechterbinaritäten und Geschlechterstereotype sind. Diese Grenzziehungen will « Blastogenese X » als ein Manifest der Diversität hinterfragen. Unterdessen ist das gezeigte Verhalten der Figuren zutiefst tierischer Natur und instinktiv gesprägt, wird aber vom menschlichen Körper als etwas Selbstverständliches ausgeführt. Tier und Mensch auf Augenhöhe - die Frage nach höherer Wertigkeit entfällt.
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Meyrick Kaminski – Passionfruit
23:50 min | 2020 | HD (16:9) | col | stereo | OVen+it
(Meisterschülerarbeit)
Unsere Erinnerungen sind meist multimedial: Sie enthalten bildhafte Elemente, Szenen, die wie ein Film ablaufen. Es gibt einen Soundtrack aus Geräuschen und Klangfarben, oft auch Gerüche und vor allem Gefühle. Diese bestimmten atmosphärischen Qualitäten lassen sich nur bedingt mit Worten beschreiben. Sind die Erlebnisse noch so konkret und real in unseren Köpfen konserviert, so wenig lassen sie sich reproduzieren. Ein zurück, zu genau diesem Moment in Zeit und Raum, ist unmöglich.
In der 3-Kanal-Videoinstallation „Passionfruit“ (2020) versucht sich Meyrick Kaminski an diesem vermeintlich aussichtslosem Unterfangen. Aus drei Perspektiven verhandelt er in Nacherzählung, Rekonstruktion und Dekonstruktion Erinnerungen aus seinem autobiografischen Gedächtnis und stellt dabei eine Verknüpfung zwischen deren fragmentarischer Natur mit den Eigenheiten technisch produzierter Bilder her.
Um sich den Erinnerungen aus frühster Kindheit anzunähern nutzt Kaminski Objektattrappen, wie z.B. eine laminierte Wortkarte oder eine Kassettenhülle, die zu Platzhalter-Artefakten ihrer verlorenen Vorbilder werden. In nachgestellten Situationen ist er vergangenen Bildern, Lichtatmosphären und Musik auf der Spur. Ein Anruf seines kindlichen Ichs aus der Vergangenheit lässt die drei Zeitebenen schließlich ineinander fallen.
Zusehends wird klarer, dass sich die Vergangenheit nicht einholen lässt. Immer weiter entfernen wir uns von dem-was-gewesen-ist während immer mehr Bilder, Film- und Tonaufnahmen unseres Lebens in der Gegenwart haften bleiben, uns trügerische Nähe zum Erlebten vorgaukeln.
Tatsächlich sind die aufgezeichneten Informationen aber instabil, im Angesicht einer sich beständig fortentwickelnden Technologie. Kameraaufnahmen mit ihrer spezifischen Farbigkeit, Körnung oder Rasterung prägen stark unsere Erinnerung oder Vorstellung einer Zeit. Jede Epoche hat ihr „eigenes“ Bild, das nicht nur von seinem Gegenstand sondern maßgeblich vom Filmmaterial, seiner Verarbeitung und Wiedergabe selbst hergestellt und von unserem Gedächtnisapparat freudig kopiert wird.
Diese besonderen Momente waren ihrerzeit genauso eingebettet im Jetzt wie unser derzeitiges Erleben. Erst durch das Festhalten und Erinnern werden sie aus dem Strom der Zeit herausgelöst und zu Singularitäten. Mit Nostalgie blicken wir als vermeintlich Wissende auf die Bilder der Vergangenheit und halten Sie für wahrhafte Repräsentationen verlorener Unschuld, begangener Schuld, Zufälligkeiten und Simplifizierungen. Dieser Blick funktioniert jedoch nur in eine Richtung. Denn wir sind heute genauso unwissend im Angesicht der Zukunft wie damals.
(Text: Jasmin Meinold)
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